Missionare auf Zeit

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MaZ in Bolivien – Unsicherheit, Unverständnis, Ungewissheit

Gartenbauprojekt CBBA
Kinderheim/ BOL

MaZ in Bolivien

Im Oktober 2019 haben in Bolivien Präsidentschaftswahlen stattgefunden in deren Folge es zu großen Unruhen und leider auch vielen Toten in Bolivien gekommen ist. Momentan sind sechs Freiwillige von SMMP in Bolivien, überwiegend in Cochabamba, was zu den Hochburgen des Ex-Präsidenten Evo Morales zählt. Frieda und Hannah, die dort in einem Kinderheim ihren Freiwilligendienst leisten,  haben uns geschrieben, wie sie die Unruhen vor Ort wahrgenommen haben:

Unsicherheit, Unverständnis und Ungewissheit

Diese drei Worte prägten die vergangenen Wochen hier in Bolivien. Wir, Frieda und Hannah, würden gerne über die aktuelle Situation aus unserem Blickwinkel und mit unseren Erfahrungen berichten.

Schon ab Anfang Oktober kündigten sich die anstehenden Präsidentschaftswahlen durch Proteste und Demonstrationen hier in Cochabamba an. Diese recht geregelten und ruhigen Proteste waren jedoch nur eine Vorstufe von dem, was noch kam.

Am 20. Oktober fanden die Präsidentschaftswahlen statt. Dieser Tag verlief erstaunlich ruhig. Nachdem das Wahlergebnis, dass Evo Morales eine vierte Amtsperiode als Präsident antreten soll, bekannt gegeben worden war, begannen viele Menschen auf die Straße zu gehen, um zu protestieren. Diese forderten den Rücktritt Morales und Neuwahlen, weil sie der Meinung waren, dass die Wahlen nicht frei und demokratisch abgehalten, sondern manipuliert worden waren. Mittlerweile ist bekannt, dass es sich tatsächlich um Wahlbetrug gehandelt hat. Ab dem darauffolgenden Tag wurden nach und nach immer mehr Straßenblockaden errichtet, sodass das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt wurde. Wir konnten das Kinderheim, in dem wir wohnen, aufgrund nicht vorhandener Verkehrsmittel mehrere Wochen nicht verlassen und unsere sowie die Vorräte des Heimes wurden jeden Tag kleiner. In dieser Zeit ist die Schule komplett ausgefallen, da die Lehrer*innen durch die Blockaden nicht die Möglichkeit hatten, zur Schule zu kommen und der Schulweg für viele Schüler*innen zu gefährlich gewesen wäre. Aufgrund dieser Umstände konnten die Schüler*innen zeitweise nicht auf die anstehenden Examen am Ende des Schuljahres (hier im Dezember) vorbereitet werden, sodass wir für die Mädchen im Heim Probeklausuren erstellt haben.

Am 10. November ist der Präsident Evo Morales zurückgetreten und hat Asyl in Mexiko beantragt. In den ersten Tagen nach seiner Rücktrittsankündigung ist die Situation deutlich stärker eskaliert. Zwischen den sogenannten „Masistas“, den Anhängern des ehemaligen Präsidenten, sowie der Polizei und später auch dem Militär fanden erbitterte Straßenschlachten statt, bei denen es einige Tote und viele Verletzte gab. Die Streitkräfte waren zu dem Zeitpunkt auf die Seite der Opposition übergetreten und unterstützten diese, nachdem sie zuvor dem Präsidenten untergeordnet waren. Es wurden viele öffentliche Institutionen in Brand gesetzt, unter anderem Wahlbüros und Polizeigebäude. Zu Beginn der Proteste kam es vor, dass die Polizei vor bewaffneten Bürger*innen wegrennen musste, da sie in der Unterzahl war. Aus diesem Grund wurde das Militär um Hilfe gebeten.

Vom 11. auf den 12. November, an dem Tag als der ehemalige Präsident ins Exil geflüchtet ist, erlebten wir und die Mädchen eine Nacht, die wir nie wieder vergessen werden. Wir saßen beide, so wie jeden Abend, gemeinsam beim Abendessen und dachten uns nichts Schlimmes, als wir Sirenen und Knaller hörten, da wir bei vorherigen Protesten des Öfteren bereits Knaller gehört hatten. Plötzlich klopfte es unerwartet an der Tür. Als wir öffneten, erklärte uns panisch eins der Mädchen, dass wir alle in Gefahr seien, die Lichter ausmachen und nach draußen kommen sollten. Innerhalb von Sekunden war durch das aufgestiegene Adrenalin jede Müdigkeit verflogen. Während wir uns draußen mit zitternden Mädchen im Arm zum Beten versammelten, fragten wir uns dauerhaft, was passiert sei und noch passieren würde. Nach und nach erfuhren wir mehr: Die „Masistas“ zogen mit Molotowcocktails und Dynamit durch die Straßen. Sie drangen in Häuser ein, legten Feuer und verwüsteten vieles. Um uns herum brannte bereits einiges und es knallte mehrmals pro Minute. Nachdem unser Gelände vollständig verriegelt worden war, sollten alle in ihre Häuser zurückkehren und sich auch dort verbarrikadieren, das Licht ausmachen und leise sein. Wir sind mit einigen Mädchen zusammen in ein Haus gegangen. Dort haben sich die Kleinen unter den Betten versteckt. Es vergingen noch weitere Stunden mit großer Angst und Unsicherheit, bevor es langsam leiser wurde. Dann haben wir alle gemeinsam in einem Zimmer versucht ein wenig zu schlafen, was für uns jedoch fast unmöglich war. Eine Nacht, wie diese, geprägt von Furcht und Sorge, hatten wir zuvor zum Glück noch nie erfahren. In den darauffolgenden Tagen legte sich unsere Angst, so eine Nacht nochmal erleben zu müssen, allmählich.

Langsam werden die Blockaden abgebaut und die Mädchen können wieder in die Schule gehen. Mittlerweile sind die meisten Straßen in den Städten wieder passierbar und das öffentliche Leben ist nicht mehr so stark eingeschränkt. Dennoch sind die Landwege zu den Städten weiterhin blockiert, sodass Überlandreisen unmöglich und Versorgungswege abgeschnitten sind. Demzufolge sind viele Lebensmittelpreise gestiegen und manche Obst- und Gemüsesorten schwer erhältlich.

Die letzten Wochen waren für uns sehr turbulent und unsicher. Wir persönlich verstehen nicht alle Zusammenhänge dieser durchaus komplizierten politischen Situation. Jedoch hoffen wir, dass sich die Lage in den nächsten Wochen weiter beruhigt und es bei den Neuwahlen nicht zu einer erneuten Eskalation kommt. Keiner weiß, wie sich die Situation entwickelt, da es viele verschiedene und teils widersprüchliche Einschätzungen gibt. Wir machen trotzdem das Beste aus dieser Situation und werden uns unsere positiven Erfahrungen in diesem Land nicht nehmen lassen.