Missionare auf Zeit

Mitleben, Mitbeten, Mitarbeiten

Oruro: Leben auf 3700 Metern Höhe

Der Altiplano in Bolivien: Jede Menge Landschaft und dünne Luft. (Foto: SMMP/Bock)
Der Altiplano in Bolivien: Jede Menge Landschaft und dünne Luft. (Foto: SMMP/Bock)

Von Tobias Koonert

Ich muss gestehen, als ich erfahren habe, dass der Ort, an dem ich voraussichtlich ein Jahr meines Lebens verbringen werde, auf einer Höhe von 3700 Metern mitten im Nirgendwo des bolivianischen Altiplano liegt, habe ich mich gefragt, worauf ich mich da nur eingelassen habe.

Ich heiße Tobias Koonert und leiste nun schon seit fast drei Monaten einen Freiwilligendienst in der Stadt Oruro.

Wenn man die Stadt Oruro im Internet sucht, dann heißt es meist nur, dass Oruro eigentlich nur einen Besuch für den Karneval wert ist. An diesen drei Tagen im Jahr herrscht hier regelmäßig Ausnahmezustand. Zehntausende Menschen strömen in die Stadt und lassen sie für ein paar Stunden pulsieren, so heißt es auf Tourismus-Websiten. Aber außerhalb der fünften Jahreszeit gebe es hier angeblich nichts zu erleben. Ich dachte mir in diesem Moment, dass es mein Ziel für das kommende Jahr ist, diese Behauptung zu widerlegen.

Aber spulen wir zunächst die Zeit ein bisschen zurück. Der Gedanke, dass ich gerne als Freiwilliger für ein Jahr lang im Ausland leben möchte, kam mir vor ungefähr einem Jahr. Ich habe zu der Zeit im fünften Semester Chemie in Münster studiert und fing an, mir zu überlegen, was ich gerne nächstes Jahr nach Abschluss meines Bachelors machen würde. Im Laufe meines Studiums habe ich viele junge Menschen kennengelernt, die bereits nach der Schule für ein Jahr lang als Freiwillige im Ausland gelebt haben. Sie haben viel über ihre Zeit dort berichtet und ich war von Anfang fasziniert von all den Erlebnisse und Erfahrungen, die sie gemacht haben. Einige der Freiwilligen haben ihren Dienst im Ausland als Missionare und Missionarinnen auf Zeit (MaZ) bei den Schwestern der Heiligen Maria Magdalena Postel (SMMP) geleistet. Über den persönlichen Kontakt bin so auch ich auf das Angebot der Schwestern aus Bestwig und Heiligenstadt aufmerksam geworden. Ich bewarb mich und wurde angenommen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das geschafft habe.

Im Laufe des Jahres wurden wir von den Schwestern und einem Team zahlreicher bereits zurückgekehrter Freiwilliger auf unseren Dienst als MaZ vorbereitet. Auf den Vorbereitungswochenenden konnte ich so auch meine zukünftigen Mitfreiwilligen kennenlernen. Die Wochenenden waren geprägt von einem familiären Miteinander und sehr viel Spaß. Die Rückkehrer haben viel von ihren Erfahrungen berichtet, von denen ich heute sehr profitiere. Aber auch interkulturelles Training und vor allem der Erwerb der Sprache des Landes, in das man im Sommer ausgesandt wurde, standen auf dem Programm. Außerdem wurde versucht, sich der sehr wichtigen Frage zu nähern, was es eigentlich bedeutet, wenn man ein Jahr lang im Auftrag der Schwestern der Heiligen Maria Magdalena Postel als MaZ im Ausland lebt.

Im Sommer stand dann die letzte Etappe auf unserem Weg in unsere Einsatzländer bevor. Während unserer Aussendungsfeier, zu der auch Eltern, Verwandte und Freunde eingeladen waren, wurden wir von Sr. Aloisia Höing in die Welt entsandt. Dort wurde mir zum ersten Mal bewusst, worauf ich mich da eigentlich eingelassen hatte. Die kommenden vier Wochen bis zu meiner Ausreise vergingen wie im Flug, sodass ich gar keine Zeit hatte, es mir noch einmal anders zu überlegen. Zum Glück! Am Tag meines Fluges fuhr ich zusammen mit meiner Familie mit einer Mischung aus Vorfreude und Ungewissheit zum Flughafen. Nachdem ich emich von meiner Familie verabschiedet hatte und hinter der Sicherheitskontrolle war, hatte ich den schwierigsten Teil meiner Reise bereits geschafft. 24 Stunden später war ich in Bolivien und bereit, in mein neues Leben zu starten.

Nach ein paar Wochen der Akklimatisierung an die Höhe der boliviansichen Berge in Cochabamba ging es für mich endlich weiter nach Oruro, an den Ort, auf den ich seit über einem halben Jahr gewartet hatte.

Am Flughafen wurde ich sehr herzlich von einer der Schwestern empfangen. Nachdem ich mein Gepäck in meinem neuen Zimmer verstaut hatte, ging ich direkt mit Schwester Monika zu einem Treffen einer ihrer Jugendgruppen. Schwester Monika betreut in Oruro sehr viele Kinder und Jugendliche und leistet Postoralarbeit. Sie versucht, den jungen Menschen ihren Glauben näher zu bringen. Viele Menschen in Oruro sind sehr religiös. In Bolvien haben der Glaube und die Kirche einen anderen Stellenwert im Leben der Menschen als ich das aus Deutschland kenne. Hier gehört der Gang zum Gottesdienst ganz selbstverständlich zur Sonntagsroutine. Auch die Gottesdienste gestalten sich anders. Sie sind viel lebendiger und die Menschen feiern mit viel mehr Freude und Enthusiasmus ihren Glauben. Das ist sehr beeindruckend und zugleich inspirierend. Ich habe hier auch ganz persönlich meinen Glauben noch einmal auf ganz andere Art und Weise kennen- und schätzen gelernt. Glaube und Kirche ist hier gleichermaßen etwas für Alte wie für Junge. Die Arbeit mit den Jugendlichen bereitet mir jeden Tag aufs Neue sehr viel Freude. Ich wurde direkt vom ersten Tag an in die Gemeinschaft integriert und bin wie selbstverständlich ein Teil davon geworden. Man wird hier mit sehr viel Offenheit und Herzlichkeit empfangen. Oft fragen die Jugendlichen gar nicht, ob man bei etwas mitmachen möchte, sondern gehen davon aus, dass man es tut.

Tagsüber arbeite ich in einer Schule, die von den Schwestern geleitet wird. An meinen ersten Tagen hier war ich ein wenig überfordert von all den neuen Menschen, der neuen Umgebung und der Arbeit, die auf mich wartete.

Hätte ich doch mal ein wenig mehr auf die vielen Rückkehrer auf den Vorbereitungsseminaren gehört, die einem ständig gesagt haben, dass das Erlernen der Landesprache vor Beginn des Freiwilligeneinsatzes einem das Leben deutlich erleichtern würde.

Aber auch trotz anfänglicher Sprachschwierigkeiten gelang der Start in der Schule. Die Menschen haben sehr viel Geduld mit mir gezeigt und mir selbst beim dritten Mal Nachfragen die Dinge noch einmal in Ruhe erklärt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Vormittags helfe ich nun teilweise in der Verwaltung mit und unterstütze das Büroteam. Vor allem aber gehe ich mit in den Unterricht und unterstütze dort Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen haben. Nachmittags gebe ich Nachhilfe für Schüler und Schülerinnen der Oberstufe, die Probleme in den Naturwissenschaften oder in Englisch haben. Es war anfangs durchaus eine Herausforderung, Mathe, Physik oder auch Chemie mit meinem eher rustikalen Spanisch zu erklären. Aber dank eines immer griffbereit liegenden Wörterbuchs sowie der großen Lernbereitschaft der Jugendlichen klappt es mitttlerweile erstaunlich gut. Die Schüler und Schülerinnen bringen auf jeden Fall jeden Tag auf‘s Neue sehr viel Motivation und Freude am Lernen mit. Diese Arbeit macht mir ganz besonders viel Spaß, vor allem weil man dabei einfach so viel von den Kindern und Jugendlichen zurückgegeben bekommt und selber viel mehr Freude am Lernen und am Leben entwickelt.

Ich habe diesen Ort Oruro und seine Menschen schon jetzt sehr in mein Herz geschlossen und bin sehr dankbar, dass ich noch weitere neun Monate hier leben und vor allem sicherlich noch viele Dinge erleben darf.